Kein Thema beschäftigt die Autobranche aktuell so intensiv wie das hochautomatisierte Fahren: Die Digitalisierung macht’s möglich. Während die technischen Voraussetzungen bereits weit fortgeschritten sind, stehen Prüfmethoden, Zulassungsverfahren und Regelwerke noch ganz am Anfang. Ein Fall für TÜV SÜD: Mit einem internationalen Projektteam ist das Unternehmen ganz vorne dabei, um den neuen Technologien rund ums autonome Fahren zum Durchbruch zu verhelfen.
In gleichmäßigem Tempo gleitet der silbergraue Wagen auf der linken Spur der Autobahn entlang. Wie von Geisterhand macht sein Lenkrad leichte Korrekturen. Dabei beschleunigt und bremst das Fahrzeug automatisch, um sich dem Verkehrsfluss anzupassen. Doch schon nach wenigen Minuten erscheint eine Meldung im Info-Display – eine Aufforderung für den Fahrer, die Hände wieder ans Lenkrad zu legen. Solche Szenen finden bereits täglich tausendfach in Deutschland statt und stehen für Stufe 2 von 5 auf dem Weg zum autonomen Fahren. Seit Ende 2017 sind die ersten Autos mit „Level 3 ready“ im Handel. Sie könnten theoretisch auf der Autobahn bis Tempo 120 selbstständig unterwegs sein. Die Freigabe dafür steht aber noch aus. Dr. Houssem Abdellatif, der bei TÜV SÜD das Thema hochautomatisiertes Fahren leitet, ist mit seinem Team intensiv eingebunden, denkt aber auch schon viel weiter bis zum völlig autonomen Fahrzeug.
Hybridansatz als Erfolgsmittel
Mit der Autonomie steigt die Komplexität – und zwar enorm. Laut Expertenmeinung müssen zum Überprüfen einer einzigen vollautomatisierten Fahrfunktion rund 100 Millionen Szenarien durchgespielt werden. Das TÜV SÜD-Team verfolgt angesichts dieser Datenmengen bei der Entwicklung sicherer Prüfmethoden einen Hybridansatz: Reale Prüfungen auf Teststrecken und in Laboren werden mit virtuellen Simulationen kombiniert. Weil moderne Autos immer mehr zu rollenden Computern mit regelmäßigen Updates werden, steht neben der „klassischen“ funktionalen Sicherheit auch die Datensicherheit im Fokus. Mit Erfolg: In Deutschland ist TÜV SÜD als einzige Sachverständigenorganisation beim Projekt Pegasus des Bundeswirtschaftsministeriums dabei, in Singapur als strategischer Partner der Regierung beim Erprobungsprojekt Cetran. Beide Initiativen haben zum Ziel, Rahmenbedingungen für künftiges autonomes Fahren zu definieren.
Benjamin Koller und Robert Matawa im Video: Fahrlehrer für den Computer gesucht
3 Fragen an
Dr. Houssem Abdellatif
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Bei der Typzulassung hochautomatisierter Fahrzeuge verfolgt TÜV SÜD einen hybriden Ansatz aus virtueller Simulation und realen Tests. Hat sich das Konzept bewährt?
Der Ansatz ist der richtige Weg, um die Sicherheit komplexer Assistenzsysteme zu gewährleisten. Man kann im realen Test unmöglich alle Fahrsituationen abbilden. Zusätzliche Datenmodelle erlauben hier eine breite Absicherung. -
Wie groß ist die Gefahr von Hackerangriffen?
Cyber Security ist ein wichtiger Schwerpunkt unserer Projektarbeit. Wie jede vernetzte Technik ist auch das hochautomatisierte Auto gefährdet. Wir kooperieren deshalb mit den Fahrzeugherstellern, aber auch Telekommunikationsunternehmen, Infrastrukturbetreibern sowie staatlichen Stellen. - In Bayern konnte mit Ihrer Unterstützung der erste autonome Bus auf öffentlichen Straßen in Deutschland starten. Wie wichtig sind solche ganz praktischen Projekte für Ihre Arbeit?
Ganz wichtig. Mit der erfolgreichen Einzelabnahme des Busses konnten wir wertvolle Erkenntnisse für die künftige Zulassung solcher Fahrzeuge gewinnen. Und zudem haben wir erste Richtlinien erarbeitet, wie automatisiertes Fahren grundsätzlich auf die Straße gebracht werden kann.
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Dr. Houssem Abdellatif leitet den Bereich
Hochautomatisiertes Fahren bei TÜV SÜD
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Zwei Experten aus dem Team für autonomes Fahren bei TÜV SÜD: Robert Matawa (r.), Leiter Fachgebiet Testing & Zertifizierung autonomes Fahren, und der Sachverständige Benjamin Koller.
Check
Bis zu
120 km/h
können „Level 3
ready“-Autos
auf der Autobahn
fahren
100 Mio.
Szenarien müssen
bei der Prüfung
einer einzigen
vollautomatisierten
Fahrfunktion
durchgespielt
werden