Hart, schnell, spektakulär: Von Rollstuhlbasketball geht eine ganz eigene Faszination aus. Und es basiert auf einem ganz eigenen Partnerschaftsgedanken, den das Sportgerät Rollstuhl und die ungewöhnliche Teamkonstellation erfordern. Direkt erlebbar bei einer Bundesligapartie der RBB München Iguanas gegen die BG Baskets Hamburg.

Laura Fürst reagiert beim Ballverlust blitzschnell. Sie reißt ihren Rollstuhl herum, nimmt mit ein paar kräftigen Armschüben Tempo auf, um rasch zurückzukommen und die Zone unter dem eigenen Korb zu verteidigen. Ihre Mannschaft, die RBB München Iguanas, liegt in diesem dritten Viertel gegen die BG Baskets aus Hamburg bereits mit neun Punkten im Rückstand. Auf Höhe der Mittellinie kollidiert sie mit einem Mitspieler und stürzt samt ihrem Gefährt. Sie liegt auf dem Rücken. Allein kann sie sich nicht hochrappeln. Da kommen zwei Mannschaftskollegen von hinten angerollt, greifen nach je einem ausgestreckten Arm und ziehen Laura Fürst hoch.

ULTIMATIVER TEAMSPORT

Szenen wie diese sind Teil dieser dynamischen Sportart, aber sie stehen auch für Werte, die im Rollstuhlbasketball wichtig sind, noch wichtiger vielleicht als in anderen Mannschaftssportarten: die Partnerschaft. Rollstuhlbasketball ist der ultimative Teamsport, nur gemeinsam lässt sich ein Spiel gewinnen. Denn in den auf den ersten Blick inhomogenen Teams spielen Frauen und Männer, Nichtbehinderte und Behinderte mit unterschiedlichen Einschränkungen in einer Mannschaft. Für eine vergleichbare Spielstärke der fünf Feldspieler mit dem Gegner sorgt ein ausgeklügeltes Punktesystem (siehe Kasten unten). „Der eine kann dies besser, der andere das“, sagt Florian Mach. Er ist an diesem Tag im Dezember einer von drei nichtbehinderten Spielern, ein sogenannter Fußgänger, im Kader der Iguanas, seine Freundin Laura Fürst die einzige Frau. „Jeder muss für jeden arbeiten“, sagt die 27-Jährige, die bei den Paralympics 2016 in Rio de Janeiro Silber mit der deutschen Rollstuhlbasketball-Mannschaft gewann.

Den Korb im Visier: Florian Mach hat sich eine gute Position erarbeitet.

Die Münchener sind Außenseiter in der Bundesliga-Partie gegen die starken Hamburger, aber zunächst können sie das Spiel offen gestalten. Mit 13:12 führen sie nach dem ersten Viertel dank einer mannschaftlich geschlossenen Leistung. Weil durch den Rollstuhl die Lücken kleiner und die Spieler weniger wendig als beim Fußgängerbasketball sind, kommt es noch mehr auf das Zusammenspiel an. „Wir müssen als Kollektiv funktionieren“, sagt Florian Mach. Laura Fürst schafft es immer wieder, erfolgreich zu blocken, und hindert damit größere Gegenspieler am Werfen. Dass sie selbst eher selten auf den Korb wirft und damit an diesem Tag nur zwei Punkte für ihre Mannschaft erzielt, stört sie nicht. „Jeder hat seine Rolle in der Mannschaft“, sagt sie. Fürs Punktesammeln seien eben andere zuständig.

„CHAIR SKILLS“ MITENTSCHEIDEND

Fürst ist seit gut zehn Jahren inkomplett querschnittsgelähmt. 2008 war sie bei einem Schüleraustausch in Michigan mit einem Snowmobil im Wald verunglückt und gegen einen Baum geprallt. Bei der Reha im Unfallkrankenhaus Murnau probierte sie, die früher Tennis und Volleyball gespielt hat, Rollstuhlbasketball aus. „Ich habe mich in den Sport verliebt“, gibt sie zu. Und später auch in Florian Mach. Der 22-Jährige kam durch seinen Vater, der als Sportkoordinator im Murnauer Klinikum arbeitet, zur Mittwochsgruppe der Rollstuhlbasketballer. Auch ihn packte der Sport, der für ihn „einfach ein toller Mix“ ist. Da sei zum einen diese Vielfalt innerhalb der Mannschaft, findet er. Zum anderen fasziniert es Mach, „die Fertigkeiten im Umgang mit dem Sportgerät ständig weiterentwickeln zu können“. Diese „Chair Skills“ sind neben der basketballspezifischen Taktik Bestandteil des Trainings. Am Anfang hatte Mach als Fußgänger einen Nachteil im Vergleich zu den Kollegen, die auch im täglichen Leben auf den Rollstuhl angewiesen sind und deshalb schneller die abrupten Richtungsänderungen oder die Koordination von Gerät und Ball lernten, aber mittlerweile hat er dies alles bestens im Griff.

NIEDERLAGE TROTZ KOLLEKTIV

Nach der Pause verlieren die Iguanas den Faden, die Hamburger ziehen davon und am Ende heißt es 77:60 für die Gäste, die als Tabellendritter nach München gekommen waren. „Vorn haben wir einfach ohne Kopf gespielt und die Sachen, die funktioniert haben, nicht wiederholt“, sagt Coach Benni Ryklin hinterher. Florian Mach ist die Enttäuschung nach Spielende anzumerken. Er sucht erst einmal Trost bei seiner Familie und geht etwas auf Distanz zu den Kollegen. Manchmal kann auch in einem gut funktionierenden Kollektiv ein bisschen Abstand nicht schaden.

Laura Fürst bei der Teambesprechung: Die Mannschaftstaktik ist beim Rollstuhlbasketball noch wichtiger als beim Fußgängerbasketball.

 

Rollstuhlgetümmel: harter Kampf um den nächsten Korb.

Teambildung als rechenaufgabe

Um einen Ausgleich zwischen den unterschiedlich starken Behinderungen in den Teams zu schaffen, bekommt jeder Spieler einer Mannschaft einen Wert zwischen 1,0 und 4,5 zugeteilt. Der offizielle Ausdruck dafür ist „funktionale Klassifizierung“.

1,0

MIT SCHWEREN BEHINDERUNGEN

Für Spieler mit extremer Behinderung gibt es die niedrigste Punktzahl, da sie mit instabilem Rumpf und ohne Sitzbalance nur sehr eingeschränkt spielen können.

 

3,0

MIT NORMALEN RUMPFFUNKTIONEN

3-Punkte-Spieler haben zum Beispiel eine Beinamputation über dem Knie. Im Spiel verfügen sie über eine ausgezeichnete Rumpfstabilität.

4,5

ERHALTEN AUCH NICHTBEHINDERTE

Minimalbehinderte und Spieler ohne Behinderung haben die höchste Punktzahl.

1,0
/
1,5

bonus

Frauen erhalten einen generellen Punktabzug von 1,0 oder 1,5 Punkten. Sie können somit auch einen negativen Wert erreichen.

BEWERTUNGS-
KRITERIEN

Schieben und Lenken

Ausschlaggebend bei der funktionalen Klassifizierung ist unter anderem die Fertigkeit des Spielers beim Schieben und Lenken des Rollstuhls.

ballFähigkeiten

Weiteres Kriterium sind die vom Behinderungsgrad abhängigen Fähigkeiten beim Werfen, Passen, Rebound und Dribbling. Der zugeteilte Wert wird im Spielerpass eingetragen.

14

Punkte

Insgesamt darf jede Mannschaft üblicherweise 14 Punkte aufs Feld stellen, was Trainer bei jedem Wechsel vor eine kleine Rechenaufgabe stellt.